Eine Kulturgeschichte der Dunkelheit (Rezension)

Bevor künstliches Licht immer und überall ausreichend verfügbar war, waren alle Menschen auf der ganzen Welt nachts für einige Stunden blind oder sehbehindert. Wohin das führte, beschreibt der Historiker A. Roger Ekirch in seinem faszinierenden Buch über menschliches Leben in der Nacht. Hier meine Rezension dazu:

Ekirch recherchierte 20 Jahre lang und wertete zahllose Quellen wie Tagebücher, Briefe, Gerichtsprotokolle, Flugblätter, Verordnungen, Reiseberichte, Kaperbücher, Predigten, Theaterstücke, Volkslieder, Romane, Gedichte, Fabeln und Spruchweisheiten aus und beschrieb die daraus gewonnenen Erkenntnisse über nächtliche Gefahren, Ängste, Schutzmaßnahmen, Ordnungspraktiken, Freiheiten, Schlafgewohnheiten, häusliche Rituale und mehr auf anschauliche und unterhaltsame Weise. Seine akribische Arbeit hat sich gelohnt. Es entstand eine umfassende Kulturgeschichte der Dunkelheit, eine Fundgrube für Wissenschaftler, Romanautoren und alle anderen an der Nacht Interessierten, ein kenntnisreich geschriebener Wälzer nicht nur für Liebhaber historischer Darstellungen, sondern für alle, die wissen wollen, was die Menschen vor der industriellen Revolution nachts im Dunkeln so alles getrieben haben.

In der Stunde der Nacht – Eine Geschichte der Dunkelheit

Klappentext: „Die Nacht ist der unterschlagene Teil der Menschheitsgeschichte. Bis zum Beginn des industriellen Zeitalters im 19. Jahrhundert war die Zeit der Dunkelheit nicht nur strikt getrennt vom Tag, sondern auch eine Zeit mit ganz eigenen Ritualen, Vorstellungen, Ängsten. Im Gegensatz zum Tag war die Nacht eine Zeit des Ausruhens und der Erholung, ein Raum der Freiheit. Daneben waren die Stunden der Dunkelheit aber auch die Zeit der bösen Geister und Dämonen, von Feuer und Verbrechen, des Aberglaubens. Ein faszinierendes Panorama der Sozialgeschichte.“ Das Buch hat 495 Seiten und besteht aus 4 Teilen, Prolog, Epilog und Quellenverzeichnis.

Nächtliche Gefahren und Ängste

Im ersten Teil geht es um die Risiken der Dunkelheit. Vor der Erfindung des elektrischen Lichts war die Nacht sagenumwoben und gefährlich. Die Zeit bis zum Morgengrauen war das Reich der Kobolde, Dämonen und Hexen. Doch es waren nicht nur böse Geister, von denen Gefahr ausging.

Wenn man heute in der Nacht über einen gut befestigten Bürgersteig im Licht der Straßenbeleuchtung geht, kann man sich kaum mehr vorstellen, wie gefährlich so etwas einst sein konnte. Wer früher nachts im Stockfinsteren unterwegs war, riskierte in Straßengräben, Kellerlöcher oder ungesicherte Brunnenschächte zu fallen, in Flüssen zu ertrinken, im Moor zu versinken, über Müllhaufen und Holzstapel auf der Straße zu stolpern oder sich den Kopf an unsichtbaren Hindernissen anzuschlagen. Kriminelle wie Diebe, Betrüger, Räuber und Brandstifter hatten im Dunkeln leichtes Spiel. Menschen stahlen Nahrung, Brennstoff oder Vieh, wilderten, schmuggelten, vergewaltigten oder waren auf andere Weise gewalttätig. Oder Wie ein französisches Sprichwort es ausdrückte: „Die guten Leute lieben den Tag und die schlechten die Nacht.“

Die Macht und die Nacht

Im zweiten Teil des Buches geht es um häusliche Vorkehrungen und Maßnahmen, die Menschen vor dem Gefahren der Dunkelheit schützen sollten. Kinder wurden beispielsweise mit speziellen Aufgaben, Nachtspielen und Geschichten an die Gefahren der Dunkelheit gewöhnt und lernten so, sich angemessen und vorsichtig zu verhalten. Früher wussten viele Menschen stets, in welcher Phase sich der Mond gerade befand und wieviel man in der kommenden Nacht bei welcher Bewölkung wohl sehen können würde. Wer es sich leisten konnte, engagierte einen Laternen- oder Fackelträger, um sich „heimleuchten“ zu lassen. Und wehe dem, dessen Licht von einem Windstoß ausgeblasen wurde. „Besonnenheit war nach Einbruch der Dunkelheit drinnen wie draußen lebenswichtig. Es war eine Sache, ins Reich der Nacht vorzudringen, aber eine ganz andere, ihre Gesetze zu ignorieren.“

Um die Bevölkerung vor den Risiken und Zügellosigkeiten der Nacht zu schützen, erließen Kirche und Staat zahlreiche Gesetze und Verordnungen. In vielen Städten zogen bewaffnete Wachmänner bei Einbruch der Dunkelheit die Zugbrücken hoch, verschlossen die Stadttore, führten Sperrstunden ein und spannten massive Eisenketten über die Straßen, um Nachtgänger abzuschrecken. Trotzdem blieb die Nachtzeit meist außerhalb der Kontrolle der Regierenden, ein Naturgesetz, das weder Gerichte noch Wachtmeister ändern konnten. Die Dunkelheit hatte auch deshalb einen schlechten Ruf, weil sie die soziale Ordnung untergrub, die tagsüber herrschte.

Die Freiheit der Nacht

Im dritten Teil des Buches werden die Vorteile der nächtlichen Stunden behandelt. Dunkle Nächte bedeuteten von Natur aus Freiheit von den Zwängen des Alltags, von den unzähligen Regeln und Pflichten, die die Fröhlichkeit und Verspieltheit der Menschen unterdrückten. Bei Nacht wurde die Gesellschaftsordnung auf den Kopf gestellt. Die Nacht versprach Befreiung vom Stress des Tages. Sie stellte für einen beträchtlichen Teil der vorindustriellen Bevölkerung eine alternative Realität dar, ein eigenes Reich, das die Gesetze des Tages und die Institutionen der Arbeitswelt in Frage stellte.

Angehörige der oberen Klassen konnten sich es nachts erlauben, auf manch Etikette zu verzichten und sich gehen zu lassen, während Menschen aus den unteren Klassen mit zerrissenen Kleidern durch die Straßen stolzierten, was tagsüber unmöglich gewesen wäre. Standesunterschiede verwischten sich mit Einbruch der Dämmerung, denn nachts sind bekanntlich alle Katzen grau. Im Schutz der Dunkelheit entkamen Jugendliche, Dienstboten und Arme der Kontrolle und den neugierigen Blicken ihrer Eltern, Herren, Besitzer oder Arbeitgeber, und sie machten das Beste daraus. Dieser „nächtliche Freibrief“ ermöglichte eine Nachtkultur, die sich stark vom Leben am Tag unterschied. In der Dunkelheit konnte man anonym bleiben und sich der Wachsamkeit von Kirche und Obrigkeit entziehen. Wie ein Bewohner von Maryland über Sklaven sagte: „Obwohl sie den ganzen Tag Sklaven sind, sind sie es nachts nicht.“

Ekirch beschreibt die Nacht auch als Schutzraum für intime Kontakte quer durch alle Schichten. Da man nachts oft kaum etwas sehen konnte, waren Hör-, Riech- und Tastsinn wesentlich bedeutender als bei Tageslicht. Dunkelheit erzeugte eine intime Atmosphäre, in der offener gesprochen wurde und Worte der Zuneigung freier floßen. Die Abwesenheit von Licht brachte Menschen körperlich und emotional leichter nah zusammen.
Die Nacht bot auch gute Möglichkeiten für „sexuelles Fehlverhalten“, von Ehebruch, Prostitution und Homosexualität bis hin zur „Verruchtheit der Onanie“. Niemand konnte kontrollieren, wer es mit wem trieb.

Abendrituale und Schlafrythmen

Im vierten Teil des Buches geht es um „private Welten“. Was machte das ehrliche Volk in den Abendstunden und nachts? Die meisten waren um neun oder zehn Uhr im Bett und um fünf oder sechs Uhr wieder bei der Arbeit. Tageslicht war ein entscheidender Faktor.

Vor dem Schlafengehen gab es viel zu tun: Bier brauen oder Käse machen, Tiere versorgen oder schlachten, Werkzeuge reparieren, Holz schleppen, Vögel fangen, Wespennester ausbrennen, am Feuer Volksmärchen aufsagen, Spiele oder Musik spielen, „schimpfen und zechen, verdammen und trinken“. Eine gebildete Minderheit, die sich künstliche Lichtquellen wie Lampen und Kerzen leisten konnte, las vor dem Schlafengehen oder schrieb in ihre Tagebücher. Männer verbrachten die Abende oft in einer Bierstube. Es war aus hygienischen Gründen sicherer, Ale, Bier oder Wein zu trinken als Wasser oder Milch, und so lebten viele Menschen in einem beständigen alkoholischen Nebel.

Als Vorbereitung auf den Schlaf begaben sich Familien auf die „Jagd“ nach Flöhen und Bettwanzen in Möbeln und Bettzeug. Läuse wurden aus dem Haar gekämmt und von Kleidung und Haut gepflückt. Ganze Familien teilten sich ein Bett. Darin lagen die Menschen in bestimmter Reihenfolge. Mädchen schliefen zwischen Mutter und Wand, abgeschirmt von männlichen Familienmitgliedern und anderen Schlafgästen. Die dünnen Wände konnten nicht verhindern, dass jeder jeden hörte.

Ein interessantes Ergebnis der Recherche des Autors und eine spannende Behauptung des Buches ist, dass unsere vorindustriellen Vorfahren eine Art von „segmentierten Schlaf“ erlebten: Es gab einen „ersten Schlaf“ bis Mitternacht, dann ein „zweiten Schlaf“. Es war wohl üblich, mitten in der Nacht aufzustehen, das Feuer zu hüten, zu essen, zu rauchen, nachzudenken, miteinander zu reden, Sex zu haben oder sogar Nachbarn zu besuchen.
Dieses Wissen könnte uns heute lebenden Menschen vielleicht auch als eine tröstende Erklärung für die immer noch weit verbreiteten Durchschlafprobleme dienen. Vielleicht ist es von der Evolution gar nicht gewollt, dass Säugetiere wie wir einfach jede Nacht viele Stunden am Stück wie ohnmächtig durchschlafen. :-)

Die untergegangene Welt der Dunkelheit

In seinem umfangreichen Buch analysiert Ekirch die Mythen und Märchen, die die Nacht bedrohlich und böse erschienen ließen, aber auch ihre tatsächlichen Gefahren. Er beschreibt die Zeit, bevor künstliches Licht immer und überall ausreichend verfügbar war. Er erzählt lebendig und anschaulich, wie die Menschen die dunklen Nächte als Gegenentwurf zur Welt des Tageslichts nutzten. Dabei reiht er unzählige spannende, skurrile und unheimliche, aber auch wissenswerte und erhellende Geschichten aneinander. Er behandelt fast jeden Aspekt des nächtlichen Lebens in einem einzelnen Absatz. Er macht ein, zwei allgemeine Bemerkungen und führt zwei, drei Beispiele an, und dann geht es weiter zum nächsten Thema. Indem er einzelne Punkte in kurzen Abschnitten verdichtet, schafft er es, Hunderte von interessanten Details unterzubringen.

Momentan nicht erhältlich

Wer sich jetzt schon darauf gefreut hat, dieses vielversprechende Buch zu kaufen, muss leider enttäuscht werden.🙁 Momentan gibt es die gedruckte, deutschsprachige Fassung nur noch in Antiquariaten. Hoffentlich erbarmt sich der Bastei-Lübbe-Verlag (oder wem auch immer heute die Rechte gehören) eines Tages und bringt dieses einzigartige Werk auch bei uns in digitaler Form heraus. Die englischsprachige Version des Buches gibt es immerhin als Kindle E-Book bei Amazon. Da blinde Menschen Experten im Umgang mit der Dunkelheit sind, sollte das Werk meiner Meinung nach idealerweise auch als Hörbuch in Blindenhörbüchereien erhältlich sein.

A. Roger Ekirch: In der Stunde der Nacht – Eine Geschichte der Dunkelheit
Gustav Lübbe Verlagsgruppe, 2006, Originalausgabe 2004, aus dem Englischen übersetzt von Arnd Kösling, 495 Seiten, ISBN 9783785722466

Leseprobe

Abschließend hier noch einige besondere Zitate von den ersten Seiten des Buches:

Soll die Nacht uns lehren, was wir sind, und der Tag, was wir sein sollten.

Thomas Tryon (1691)

Für den aufmerksamen Beobachter senkt sich die Nacht nicht herab, sondern sie steigt auf. Sie beginnt in den Tälern, in denen die Schatten langsam die Flanken emporkriechen. Verblassende Sonnenstrahlen verschwinden hinter Wolken, als würde der Stern sie für den nächsten Tag einsaugen. Während Felder und Wälder der Düsternis anheim fallen, leuchtet der westliche Himmel weiter, selbst wenn die Sonne hinter den Horizont hinabsinkt.
Würde ihn das Firmament leiten, dann könnte der Landmann bei seinem Pflug bleiben, statt den Heimweg anzutreten, so aber beschleunigen die wachsenden Schatten seinen Schritt. Zwischen plötzlich wieder aufgetauchten Saatkrähen und muhenden Kühen hoppeln Kaninchen Schutz suchend umher. Schleiereulen drehen über der Heide ihre Runden. Ihr Ruf klingt wie der Erkennungspfiff verschworener Meuchelmörder und schreckt Mäuse und Menschen gleichermaßen: Beide haben früh gelernt, diese schrillen Todesbotschaften zu fürchten.
Mit dem Rückzug des Tageslichts schwindet auch die Farbe aus der Landschaft. Die Dickichte werden massiger, wenn sie mit den grauen Schatten verschmelzen. Es ist Abend, die Zeit, in der Menschen und Büsche gleich aussehen – oder auch, wie ein italienisches Sprichwort warnt, Hunde und Wölfe.

Abendgrauen, Dämmerung, Zwielicht, Ulenflucht, Schummerstunde, Schlummerstunde – die Sprache hält eine Unmenge von anschaulichen Idiomen für den Übergang des Tages in die Dunkelheit bereit. Das Irische Gälisch besitzt allein vier Ausdrücke, die aufeinander folgende Abschnitte der Zeit vom späten Nachmittag bis zum Einbruch der Dunkelheit bezeichnen. Kein anderer Teil des Tages oder der Nacht hat eine reichhaltigere Ausdrucksweise angeregt.

Die gängigste Bezeichnung für den Einbruch der Nacht war shutting-in (der Tagesabschluss, das Absperren): Sobald die Wachhunde von der Kette gelassen waren, sperrte man die Türen zu. Denn die Nacht mit ihrer unheimlichen Dunkelheit barg zahllose Gefahren, reale wie imaginäre. Die Nacht war das erste unvermeidliche Übel des Menschen, unser ältester und bedrohlichster Schrecken. In der wachsenden Dunkelheit müssen unsere prähistorischen Ahnen eine tief gehende Angst verspürt haben, nicht zuletzt davor, dass die Sonne eines Morgens nicht wiederkehren würde.

Der Schrecken der Dunkelheit ist zeitlos

Über den Zeitpunkt, an dem sich die Furcht vor der Dunkelheit in der menschlichen Psyche festsetzte, kann lediglich spekuliert werden. Doch ob diese Angst nun von Beginn an da war oder sich mit der Zeit herausbildete: Spätere Kulturen erbten eine ausgeprägte Aversion gegen die nächtliche Dunkelheit. Wohin man in der antiken Welt auch blickt, bevölkern Dämonen die Nachtluft. Viele der frühen Zivilisationen, einschließlich Ägyptens und Mesopotamiens, setzten die Dunkelheit mit dem Tod gleich, wie es auch das christliche Europa tat.

Der berühmte 23. Psalm spricht von der Dunkelheit als einem Tal des Todesschattens. Die Christenheit verehrte Gott von Beginn an als Quelle ewigen Lichts. Sein erster Schöpfungsakt, das Geschenk des Lichts, rettet die Welt aus dem Chaos. So wie das Strahlen der Sonne eine Ahnung des himmlischen Lichts vermittelte, so nahm die Dunkelheit die Qualen vorweg, die einen Sünder nach dem Tod erwarteten. Einige Kirchenleute waren überzeugt, Gott habe die Nacht als Beweis für die Existenz der Hölle geschaffen. »Die Bestimmung eines Menschen ist immer dunkel«, klagte eine Redensart im 17. Jahrhundert.

Wenn also die Nacht unser Augenlicht in ihren rostigen Kerker gesperrt hat und wir in unseren Kammern – jeder für sich – von der Hoffnung abgeschnitten sind, dann hält der Teufel Einzug in unser sündiges Gewissen.

Thomas Nashe (1594)

Die Einwohner Antiochias »schüttelten« laut Libanius mittels Öllampen »die Tyrannei des Schlafs ab« – wie auch andere Gesellschaften, so die Sumerer und die Ägypter, die dank dieser frühen Form der künstlichen Beleuchtung nach Einbruch der Dunkelheit größere Bewegungsfreiheit erlangten. Jede Art künstlicher Beleuchtung – nicht nur Lampen, auch Fackeln und Kerzen-half schon früh, die nächtlichen Ängste abzumildern. »Böse Geister mögen den Geruch von Lampen nicht«, verkündete schon Plato.

Der Umgang früherer Kulturen mit der Nacht wurde von verschiedenen Faktoren geprägt, darunter auch die Art und Weise, in der bereits kleine Kinder den Gefahren der Dunkelheit ausgesetzt wurden. Man kann kaum genug betonen, wie viel Misstrauen und Verunsicherung die Dunkelheit auslöste. Wenn Angst, schlechte Sicht und Phantasie eines Menschen sich verbünden, um ihm etwas vorzugaukeln, »dann kann ihm jede noch so befremdliche Erscheinung begegnen.«

Die Nacht raubte Männern und Frauen das Augenlicht, den kostbarsten aller menschlichen Sinne. Kein anderer Sinn – weder Hören, Tasten noch Riechen oder Schmecken – verlieh dem Einzelnen eine derartige Kontrolle über seine Umgebung. Der Argwohn und die Unsicherheit, die mit der Dunkelheit aufkamen, lassen sich kaum übertrieben darstellen. Freunde wirkten wie Schurken, Schatten wie Phantome. Die natürlichen Merkmale der Umgebung -Hecken, Bäume, Baumgruppen – erwachten zu neuem Leben. »Wer durch das Dunkel geht«, notierte Humphrey Mill 1639, »und ein Gebüsch sieht, hält es für einen Dieb.«

Auch das Gehör spielte den Menschen Streiche. Geräusche, die am Tag gar nicht wahrgenommen wurden, drängten sich in der Dunkelheit auf. »Die Nacht ist stiller als der Tag«, beobachtete der Dichter George Herbert im 17. Jahrhundert, »und doch fürchten wir an ihr, was wir am Tag nicht merken. Da huscht eine Maus, da knackt eine Diele, da jault ein Hund, da schreit eine Eule, und uns bricht der Angstschweiß aus.« Zu den typischen Vorzeichen für Unglück gehörten heftiger Donner und Käuzchenschreie.

Für Menschen, die von biblischen Wundern und dem Glauben an Übernatürliches durchdrungen waren, waren Ereignisse am Nachthimmel einschließlich der Nordlichter in den höheren Breiten – von großer Bedeutung. »Schreckliche Dinge waren die ganze Nacht im Himmel«, notierte George Booth aus Chester 1727. »Meine ganze Familie war auf und weinte oder betete, am Himmel loderte unaufhörlich eine Flamme.« Wie im Mittelalter erweckten Kometen, Meteore und Mondfinsternisse, entweder als Omen für den Willen Gottes oder als Belege für seinen Zorn, Furcht und Schrecken. An solche Erscheinungen konnten sich die Leute nicht gewöhnen. Sie waren ebenso entsetzlich wie wundersam und damit das spektakulärste aller nächtlichen Mysterien.

Fieber und grippale Infekte zählten zu den Leiden, die man den schlechten Dünsten der Nacht zuschrieb. Man glaubte, dass die feuchte Abendluft in die Poren eindringe und gesunde innere Organe schädige. Die gängige Vorstellung, Krankheiten würden sich nachts verschlimmern, verstärkte auch die Angst vor Ansteckung. »Jede Krankheit«, schrieb der Minoritenmönch Bartholomaeus Anglicus, »ist generell nachts stärker als tags.« Und Thomas Amory beobachtete: »Keine Nacht geht vorüber, ohne dass Krankheit und Tod zuschlagen und viele dahinraffen.«
Höchstwahrscheinlich wurden die Symptome vieler Krankheiten nachts wirklich schlimmer – genau wie heute. Es ist bekannt, dass der Tod am häufigsten in den frühen Morgenstunden kommt, oft aufgrund so genannter zirkadianer, etwa 24-stündiger Rhythmen die bestimmten Erkrankungen wie Asthma und Herzinfarkten zu Eigen sind.

Im Zeitalter der Moderne hat die menschliche Aversion gegen die Dunkelheit natürlich Schritt für Schritt nachgelassen, und zwar – dank des elektrischen Lichts, der Berufspolizei und der Verbreitung eines wissenschaftlichen Rationalismus – ganz besonders in industrialisierten Gesellschaften. Doch in den Jahrhunderten vor der industriellen Revulotion war der Abend voller Bedrohungen. In der frühen Neuzeit holte die Dunkelheit die übelsten Elemente in Mensch, Natur und Kosmos auf den Plan. Mörder und Diebe, schreckliche Unglücke und teuflische Geister lauerten überall.
[Ende der Leseprobe, Bearbeitung von Per Busch]

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