Was ist der evolutionäre Sinn der Dunkelangst?

Wie verbesserte die Angst im Dunkeln einst unsere Überlebenschancen? Warum sind nächtliche Gefahren ein Dilemma für die menschlichen Instinkte? Welche realen Risiken gibt es nachts tatsächlich?

Ich habe immer geglaubt, meine Angst vor der Dunkelheit sei ein lächerliches Überbleibsel aus der Kindheit. Dank der Wissenschaft habe ich jetzt aber die Wahrheit herausgefunden. Sie ist ein lächerliches Überbleibsel aus der Kindheit und aus der frühen Menschheitsgeschichte, als das Ganze noch gar nicht so lächerlich war.

Unsichtbare Gefahren in der Nacht

Wenn wir nicht sehen können, was um uns herum ist, ängstigt uns das. Unsere Vorstellungskraft malt sich das Schlimmste aus. Die Angst in der Nacht oder Dunkelheit ist tief im Inneren eines jeden Menschen verwurzelt. Evolutionspsychologen führen dies auf die Urzeit zurück. Als Jäger und Sammler lebten die Menschen unter freiem Himmel, jederzeit der Gefahr ausgesetzt, von wilden Tieren getötet zu werden oder im Dunkeln zu verunglücken.

Viele Raubtiere haben eine gute Nachtsicht und jagen bevorzugt in den dunklen Stunden. Auch menschliche Feinde können sich dann besser anschleichen. In den Hunderttausenden von Jahren bevor der Mensch sich den Rest der Welt unterworfen hat, bedeutete die Nacht immer eine gewisse Gefahr. Weit entfernt von der wärmenden, schutzbringend Feuerstelle, abseits der Gesellschaft der eigenen Gruppe war die Bedrohung durch Feinde wesentlich größer und auch die Bewegung in der Landschaft barg zahlreiche Risiken. Damals waren wir auch noch Beute. Wir standen noch nicht an der Spitze der Nahrungskette. Dank unserer Erfindungsgabe sind wir heute zwar das Top-Raubtier, aber die instinktive Angst im Dunkeln ist uns geblieben.

Angst dient dem Überleben

Das Sehen ist unser wichtigster Sinn. Dunkelheit macht uns verwundbar und ungeschützt, unfähig, Bedrohungen zu erkennen, die in der Nähe lauern könnten. Die Angst im Dunkeln ist im Wesentlichen eine Angst vor unsichtbaren Gefahren. Sie ist ein Schutzmechanismus. Aus evolutionärer Sicht ist sie ein Vorteil.

  • Angst ist ein psychisches, Schmerz ein physisches Warnsignal, beide dienen dem Überleben
  • Angst erhöht die Aufmerksamkeit, schärft die Sinne, verbessert die Reaktionsgeschwindigkeit, mobilisiert Energiereserven und verstärkt die Körperkräfte.
  • Angst hält Körper und Geist auf Trab, um bei Gefahr schnell mit Kampf oder Flucht reagieren zu können.
  • Das mulmige Gefühl in der Dunkelheit macht uns vorsichtig. Unseren Vorfahren hat das geholfen.

Wegrennen, kämpfen oder sich tot stellen

Vor einem potentiell gefährlichen Tier wollen wir fliehen. Gegen einen Angreifer können wir kämpfen. Der Blick vom Rand einer Felsenklippe lässt uns erstarren. Nichts sehen können aber macht hilflos. Im Dunkeln kann man nur schlecht kämpfen oder fliehen, man sieht weder Fluchtweg noch Angreifer. Für solche Situationen hat die Evolution zwar die Schreckensstarre erfunden, doch auch nichts tun ist gefährlich.

Dieses Dilemma für die Instinkte ist einzigartig und ist der Grund für unser diffuses Angstgefühl in der Dunkelheit. Wer nichts sieht, kann nicht intuitiv einschätzen, welche der drei Überlebensstrategien in einer riskanten Situation für das Überleben am geeignetsten wäre.

Reale Gefahren in der Dunkelheit

Heutzutage existieren Gefahren in der Nacht meist nur noch in unserer Einbildung, verstärkt durch Medienberichte über Verbrechen, Psychothriller, Krimis, Horrorfilme, Gruselgeschichten, Schauermärchen. Als wir noch nicht einfach und jederzeit Licht machen konnten, war es nachts viel gefährlicher als heute. Folgende Risiken gibt es tatsächlich:

  • Orientierung: Desorientierung, Verlaufen, Verirren, nicht mehr den Weg zu einem sicheren Zufluchtsort finden können (besonders gefährlich bei Kälte und bei Feinden in der Umgebung).
  • Fortbewegung: Unfälle bzw. Verletzungen aufgrund von Hindernissen am Boden oder auf Kopfhöhe, Hineintreten in Löcher/Spalten, Herunterfallen aus der Höhe, Fallen in Wassertümpel oder Flüsse, Einsinken in sumpfigen Boden, Dornendickichte, gefährliche Pflanzen (verbrennend, ätzend, giftig).
  • Angriffe: Raubtiere, giftige Tiere, überraschte bzw. sich verteidigende Tiere, Menschen (Fremde oder aus der eigenen Gruppe). Auflauern, Hinterhalt, Fallen, zufällige Begegnungen.
  • Keine Hilfe bekommen: im Notfall keine Unterstützung von Gruppenmitgliedern bzw. anderen erhalten, weil einen niemand sieht oder mitkriegt, dass etwas bzw. was genau oder wo etwas passiert ist oder wie man dorthin kommen kann, um zu helfen.
  • Senkung von Hemmschwellen bei anderen Menschen, weil weniger Risiko besteht, erwischt zu werden und niemand sieht, was jemand tut. Wegfall sozialer Kontrollmechanismen.

Siehe auch

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