Taktile Karten aus dem 3D-Drucker

Hinweis: Diese Seite wurde zuletzt im Sommer 2019 aktualisiert.

Nachdem ich 1993 erblindete, war mein größter Traum, mich wieder alleine und unabhängig in der Natur bewegen zu können. 2011 wurde dieser Traum wahr. Das hat meine Lebensqualität enorm verbessert! Ich möchte mithelfen, anderen blinden Menschen ähnliche Möglichkeiten zu eröffnen. Dazu habe ich im Dezember 2018 diese Initiative gestartet:

Für blinde und stark sehbehinderte Menschen sind Orientierung und Mobilität eines der größten Probleme. Die Nutzung von 2D-Kartenmedien war für diese Personengruppe bislang kaum möglich. Die Herstellung individueller taktiler Karten war teuer und die Qualität oft schlecht. Dank der rasanten Entwicklung und Verbreitung der 3D-Druck-Technologien ist das jetzt plötzlich anders. 3D-gedruckte Karten sind ein hervorragendes Hilfsmittel und ermöglichen kostengünstig und nachhaltig mehr Barrierefreiheit in Stadt, Gebäuden und Natur.

Auf dieser Seite erkläre ich unter anderem, warum ich gerne ein taktiles topographisches Modell des Kasseler Habichtswalds im 3D-Druck hätte und wie solche Karten auch anderen blinden Menschen dabei helfen würden, sich unabhängig und sicher in der Natur und anderswo bewegen zu können. Am Ende gibt es noch viele weiterführende Links.

Ich suche Menschen, die mithelfen möchten, das Thema barrierefreier Karten und Pläne voranzubringen. Für Wissenschaftler, Institutionen, Firmen und Organisationen könnte es interessant sein, entsprechende Projekte auf regionaler oder bundesweiter Ebene zu unterstützen, weil man damit wahrscheinlich gut Öffentlichkeitsarbeit machen kann. Das Themenfeld eignet sich meiner Meinung nach auch gut für wissenschaftliche Arbeiten und politisches Engagement. Bislang gibt es in diesem Bereich weltweit kaum Forschung und nur wenig Literatur. Wahrscheinlich liegt das daran, dass es additive Fertigungsverfahren erst seit kurzem gibt und den meisten Menschen nicht klar ist, was damit plötzlich alles machbar ist. Daraus ergibt sich auch die Frage, ob Blinde und Sehbehinderte vielleicht sogar einen Rechtsanspruch auf barrierefreie Karten hätten, wenn diese kostengünstig herstellbar wären.

Mögliche Finanzierungsquellen: Die Aktion Mensch fördert Projekte rund um Barrierefreiheit und Mobilität mit Beträgen von 5000 bis 300.000 €. Die Hildebrandt-Stiftung setzt sich für blinde Menschen ein und fördert Wissenschaftler/innen mit 10.000 bis 90.000 € p.a. (Konzeptskizze einreichbar bis September 2019). Der Fachbereich ASL (Architektur/Stadtplanung/Landschaftsplanung), die technischen Fachrichtungen und Sozial- und Geowissenschaften könnten sich dafür eignen, auch interdisziplinär. Fachleute kennen sich leider meist nur mit einem oder zwei der involvierten Themenbereiche aus, aber nie mit allen drei. Die Bereiche sind Geo (Daten, GIS, Kartographie), 3D-Druck (CAD, Drucktechniken, Materialien) und Blindheit (Anforderungen an eine taktile Karte, Orientierung, Mobilität).

Blind in der Natur

Ich liebe es, alleine im Wald unterwegs zu sein. Dort wandere ich täglich stundenlang mit meinem Hund. Oft sitze oder liege ich auf Bänken oder Baumstämmen und genieße die Atmosphäre. Ich kenne fast alle Wege und Pfade, mindestens 30 Kilometer insgesamt, und kann mich gut mit dem Blindenlangstock und einer App auf meinem iPhone orientieren. Ich mag das Gefühl von Weite und Geborgenheit in einem großen Wald. Die Bäume bieten Schutz, die Wege Freiheit. Ich fühle mich unabhängig, begegne anderen Menschen auf gleicher Augenhöhe und vergesse oft, dass ich blind bin. Mehr dazu:
Blind im Wald

Blinde und sehbehinderte Menschen können alleine in der Natur unterwegs sein, wenn sie eine GPS-App nutzen und zusätzlich wissen, welche Wege es in der Umgebung gibt und wohin sie führen. Diese Wege kann man kennenlernen, indem man sie einmal zusammen mit einem sehenden Helfer abgeht und sich dabei ein inneres Bild bzw. eine Karte im Kopf macht. Ein Problem ist aber, dass man erstmal einen sehenden Menschen finden muss, der einem begleitet und der auch zuverlässige Angaben machen kann. Denn bekanntlich können nicht alle Sehenden gut erklären oder sich orientieren. :-)

Die Vorteile taktiler Karten aus dem 3D-Drucker

  • Sie ermöglichen blinden Menschen das Verstehen räumlicher Sachverhalte. Für den blinden Fußgänger enthüllen sich auf der taktilen Karte manchmal beispielsweise bislang für gerade gehaltene Wege als gebogen. Diese leichte Krümmung des Weges bemerkt man als Blinder nicht beim Gehen. So etwas erschwert es, sich ein verständliches Bild der Umgebung machen zu können.
  • In bereits bekannten Gebieten kann es passieren, dass man im Laufe der Zeit früher einmal erlernte, aber selten genutzte Informationen über das Wegenetz wieder vergisst. Dann hilft eine taktile Karte als Erinnerungsstütze.
  • Ertastbare topographische Höhenunterschiede vermitteln, ob Wege eben sind oder ein Gefälle haben. Dies ist für blinde Fußgänger sehr hilfreich bei der Orientierung in der Natur.
  • Tastkarten sind mit mobiler Navigationssoftware sehr gut kombinierbar.
  • 3D-Modelle von Karten können im Computer relativ einfach bearbeitet werden, um sie den verschiedenen Bedürfnissen der Nutzer anzupassen. Man kann Maßstab und Texturen ändern, Objekte und Braillebeschriftung hinzufügen/entfernen und danach die Karte erneut drucken.
  • Man kann aus den gleichen Daten verschiedene Kartenvarianten herstellen. Beispielsweise ein großes Modell mit vielen Details oder eine kleine, weniger detailierte, transportable Karte für die mobile Nutzung.
  • Bislang war die Erstellung taktiler Karten aufwendige Handarbeit und dadurch entsprechend teuer. Computer und additive Fertigung sind billiger, nachhaltiger und oft auch besser.
  • Consumer-3D-Drucker ermöglichen auch Endanwendern eine kostengünstige Herstellung taktiler Karten vor Ort. Sie bieten aber weniger Qualität und sind kleiner als professionelle 3D-Drucker.
  • Für Beschriftungen in Brailleschrift fehlt auf taktilen Karten oft der Platz. Man kann aber Abkürzungen in Punktschrift und eine erklärende Kartenlegende verwenden. Blindenhilfsmittel wie der Penfriend mit seinen kleinen Aufklebern oder ähnlich simple technische Lösungen ermöglichen Beschriftungen in gesprochener Form und bieten so eine praktische Alternative mit Mehrwert.

Ertastbare Karten verschaffen blinden Menschen einen Überblick, um Form und Positionierung von Wegen, Straßen, Gebäuden, Parks und anderen Objekten zu begreifen. So erklärte der Entwickler des 3D-Kartentools Touch Mapper beispielsweise: „Bei uns zuhause biegt sich eine Straße langsam in einem Winkel von 90 Grad. Obwohl meine blinde Freundin alleine unterwegs gut zurechtkommt, war ihr diese Tatsache nicht bewusst und hat bei ihr für Verwirrung gesorgt. Nachdem wir aber die taktile Karte erstellt hatten, konnte sie ihre innere Karte korrigieren.“

3D-Karten helfen blinden und sehbehinderten Menschen dabei, sich eine Vorstellung vom Wegenetz eines Gebietes zu verschaffen, so dass sie sich dort unabhängig bewegen können. Solche Tastkarten könnte man in meiner Heimatstadt Kassel beispielsweise vom Uni-Campus (für blinde Studenten) oder von Bergpark, Karlsaue und anderen Parks machen, inklusive integrierter, miniaturisierter Modelle markanter Bauwerke. Eine Übersichtskarte von Stadt und Region (lediglich mit großen Straßen, Gewässern und einigen wichtigen Orten) wäre für viele blinde Bürger wahrscheinlich ebenfalls interessant.

GPS-Apps

Spezielle Apps auf blind bedienbaren Smartphones ermöglichen blinden Menschen die schnelle, unkomplizierte Erstellung eigener Orientierungspunkte, die mit selbstausgedachten Namen bezeichnet werden. Solche Navigationspunkte können beispielsweise Kreuzungen, Abzweigungen, Sitzgelegenheiten, Schutzhütten, Parkplätze, Gaststätten und andere Orte von Interesse sein. Während des Gehens werden die Punkte bei Annäherung automatisch mit Entfernung und Richtung angesagt. Eine Liste bietet außerdem eine Übersicht über Lage und Entfernung aller Punkte in der Umgebung des gerade aktuellen Standortes. Damit kann man herausfinden, wo man gerade ist, falls man mal falsch abgebogen ist. :-)

Mit Hilfe einer taktilen Karte können blinde Menschen sich völlig selbstständig bislang unbekannte Wege in der Natur erschließen, wenn sie vorher von jemand anderem eine Sammlung von Orientierungspunkten mit aussagekräftigen Beschreibungen für die jeweilige Gegend bekommen und diese in der eigenen GPS-App speichern. Apps wie Ariadne-GPS und Blind Square unterstützen den Export und Import solch selbsterstellter Punkte. Für meinen Teil des Habichtswalds habe ich beispielsweise über 70 Navigationspunkte gespeichert, die ich anderen blinden Menschen gerne zur Verfügung stelle.

Die Barrierefreiheit von Karten

Bislang waren blinde und sehbehinderte Menschen fast völlig von der Nutzung dieser 2D-Medien ausgeschlossen. Dank der rasanten Entwicklung und Verbreitung additiver Fertigungsverfahren ist das jetzt plötzlich anders! Ich möchte mithelfen, diese neuen, flexiblen, nachhaltigen und vor allem auch kostengünstigen Möglichkeiten zu erforschen. Dafür gebraucht werden hochwertige amtliche Geodaten, Software (GIS/CAD), geeignete 3D-Drucktechnologie und die Erprobung taktiler und haptischer Gestaltungsmöglichkeiten. Und natürlich vor allem Menschen, die sich für die Barrierefreiheit von Karten engagieren möchten!

Weiterführende Links & Infos

Mehr über taktile Karten aus dem 3D-Drucker, wissenschaftliche Arbeiten und die Nützlichkeit des 3D-Drucks für blinde und sehbehinderte Menschen. Bei Twitter schreibe ich auf Englisch als @PerBusch und auf Deutsch als @de_Per mit dem Hashtag #3D4blind über diese Themen. Empfehlen möchte ich diesbezüglich auch die Tweets anderer in meinen Favoriten.

Tastkarten aus dem 3D-Drucker

  • Touch Mapper ist ein Open-Source-Tool zur Erstellung taktiler Karten auf Basis von OpenStreetMap-Daten. Weitere Infos gibt es in diesem deutschsprachigen Interview mit dem finnischen Entwickler Samuli Kärkkäinen.
  • Der Tactile Map Generator der Carnegie Mellon University erstellt ebenfalls 3d-druckbare Dateien.
  • Japan prepares to make 3D printed topographic maps available for blind people (3DPrint.com, 2014).
  • Maps at your fingertips (2018), „the challenges and future of tactile maps.“ Bericht über einen Designer-Workshop mit Vorstellung des Angebots TMAP der Selbsthilfe-Organisation Lieghthouse aus San Francisco. Der Service „Tactile Maps Automated Production“ (TMAP) erstellt mit einem 3D-Drucker für die Kunden 3 taktile Karten mit verschiedenen Maßstäben und Details. Die erwünschte Adresse befindet sich immer im Zentrum.
    Stimmen von Nutzern: „Eine genaue, barrierefreie Karte als realen Gegenstand für die Erkundung zu haben, erspart einem endlose Frustration…. Mit einer taktilen Karte in der Hand kann ich das gesamte Bild der Gegend direkt in meinen Kopf übertragen.“1 „Es geht darum, gleichberechtigt zu sein und die Freiheit zu haben, nicht von anderen Menschen abhängig sein zu müssen… Taktile Karten geben mir eine Grundlage und einen Ausgangspunkt, damit ich mich nicht völlig verloren fühle. Wenn man sich verloren fühlt, will man einfach nur noch nach Hause gehen.“2 „Er wusste nicht, wie man eine Karte visuell liest, geschweige denn nicht-visuell…. Es ist emotional bewegend, plötzlich über eine Fähigkeit zu verfügen, von der man bis dahin immer dachte, sie würde Sehkraft erfordern.“3

Wissenschaftliche Arbeiten

Barrierefreier Zugang zu Geodaten, Lageplänen und Karten.

3D-Druck für blinde Menschen

Über andere Chancen, die 3D-Druck blinden und sehbehinderten Menschen eröffnet, speziell im Bildungsbereich:

Siehe auch

** Geschrieben von Per Busch, veröffentlicht im Dezember 2018 **

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